Von Leibwächtern und Leinwänden

| Bujinkan

Tagki Yoshin Ryu-Seminar im Mugenkai Dojo in Puchheim

Ein Tritt, eine Drehung und plötzlich liegt das eigene Gesicht auf dem Boden, während jemand einem ein Knie in das Schulterblatt drückt. Beim Aufstehen bemerkt man am Rande, dass das schweißdurchtränkte T-Shirt ein kurzweiliges Gemälde auf die Matten gezeichnet hat. Ein kurzer Gedanke geht an die Metapher, die Daishihan Stefan Filus vorhin erst verwendet hat: „Beschwert euch nicht bei der Leinwand, wenn das Gemälde schlecht aussieht.“ Scheinbar wird hier auf mehr als eine Art Kunst betrieben.

Es wird gewechselt: man selbst tritt, man dreht die Hüfte, man wirft jemanden zu Boden und drückt das Knie in die Schulter… oder man versucht es und kämpft dann mit dem eigenen Frust, warum diese nach außen hin so einfach anmutende Bewegung, bei einem selbst nicht so funktioniert, wie sie das sollte. Manchmal ist es schwer, sich nicht bei der Leinwand zu beschweren, auch wenn nach außen hin diese Emotionen unter der Oberfläche bleiben müssen – denn auch die Kontrolle der eigenen Gefühle ist Bujinkan, oder wie es mein Lehrer, der Shidoshi Max Scheungrab, einmal formuliert hat: „Frust ist im Kampf nur tödlicher Egoismus“.

Aber machen wir einen Schritt zurück: dieser kurze Einblick in meine Gedankenwelt entstammt dem Seminar zur Shoden no Kata – Omote Waza (初伝の型 - 表技)des Takagi Yôshin Ryû Jûtaijutsu (高木場心流柔体術) dem so genannten ersten Level der Takagi, geleitet von Shidoshi Stefan Steiner, dem Dôjô-Chô des Mugenkai Dôjô in Puchheim.

Das Training fand bei „milden“ 28° C im Schatten am 30. und 31. Juli 2022 in der Laurenzer Sporthalle in Puchheim statt, was nun auch den Zustand meines T-Shirts erklärt. Die Motivation ist hoch, nach über zwei Jahren Pandemie freut man sich über jedes stattfindende Seminar, aber viel wichtiger: Kaffee und Plätzchen stehen für die Pausen schon bereit.

Unter den wachsamen Augen des Daishihan Stefan Filus, der die Erklärungen gelegentlich ergänzt, trainierten unsere vier Dôjô aus München, am Sonntag noch unterstützt durch Mitglieder des Bujinkan Busshin Dôjô aus Augsburg, um einen tieferen Einblick in eine der neun Schulen zu erhalten, die das Bujinkan ausmachen. Die Takagi Yoshin Ryu entstand als Leibwächterschule am kaiserlichen Hof war, weshalb sie, anders als in anderen Schulen, in der Regel nicht versucht den Gegner ohne Rücksicht auf Verluste auszuschalten, sondern diesen normalerweise versucht festzulegen – das oben angesprochene Knie in das Schulterblatt – man weiß schließlich nie, ob man da nicht am Ende einen Schützling eines hohen Tiers am Hof vor sich hat und man dann für dessen Schaden zur Verantwortung gezogen wird. Dadurch, dass die Schule primär am Hof – in Gängen und Räumen – verwendet wurde, bewegt man sich bei ihr auf einem engen Raum, mit schmalen Drehungen bzw. in einer Achse, ein weiterer Kontrast zu einigen anderen Schulen die wir haben.

Wer sich noch mehr mit den verschiedenen Schulen des Bujinkan beschäftigen möchte, der sei hier auf die sehr hilfreiche Übersicht auf der Homepage des Bujinkan München verwiesen (https://www.bujinkan-muenchen.de/bujinkan/).

Das erste Level der Takagi Yoshin Ryu umfasst insgesamt 13 so genannte Kata – oder auf Deutsch auch einfach „Formen“ – genau festgelegte Abläufe, die eine Art Blaupause für verschiedene spezifische Szenarien für den Trainierenden darstellen sollen, bspw. „Was mache ich, wenn mich plötzlich jemand am Kragen packt?“ Jede dieser Formen hat einen eigenen Namen, was die Kommunikation unter den Trainierenden deutlich erleichtert, allerdings auch zusätzlichen Stoff zum Lernen darstellt. Hausaufgaben im Sportunterricht sozusagen.

Für das erste Level sind diese:
1. 霞捕: Kasumi Dori
2. 洞返: Do Gaeshi
3. 搦捕: Karame Dori
4. 虚倒: Kyotô
5. 片胸捕: Kata Mune Dori
6. 両胸捕: Ryô Mune Dori
7. 追掛捕: Oikake Dori
8. 戒後砕: Kaigo Kudaki
9. 行違: Yuki Chigae
10. 唯逆: Yui Gyaku
11. 乱勝: Ranshô
12. 拳流: Ken Nagare
13. 膝車: Hiza Guruma

Nachdem wir am Samstag von 10 bis 17 Uhr die ersten sieben Formen trainiert haben wurde das Training mit einem Essen bei einem örtlichen Griechen und einem guten Bier beschlossen, während die Gespräche von Politik bis hin zu Superheldenfilmen einem die Möglichkeit gaben, ein wenig Abstand von all dem Gelernten zu nehmen um am nächsten Tag mit einem neuen Blick an die Sache heranzugehen, so dass wir die letzten sechs Techniken am Sonntag von 10 bis 15 Uhr relativ erfolgreich lernen konnten.

Nach einem kurzen gemeinsamen Aufräumen im Anschluss begab ich mich dann auf den Rückweg, reicher an blauen Flecken, aber hoffentlich auch ein wenig an Fähigkeit. Zumindest die Leinwand wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Simon Fischer